Methode

Sturzflutindex (SFI)

Kernelement des AVOSS Web-Demonstrators ist der neu entwickelte Sturzflutindex (SFI). Der SFI beschreibt die Gefährdung durch wild abfließendes Oberflächenwasser, das in Folge starker Gewitterereignisse oftmals außerhalb von Flüssen entlang von kleinen Bächen, Geländevertiefungen oder Wegen bzw. Straßen abläuft und zu einer Gefahr für Leib und Leben werden kann. Für diese Gefährdung gibt es im derzeitigen Warnsystem, welches ausschließlich auf Niederschlagsmenge und - dauer basiert, keine verlässliche Information.

Der SFI kann sowohl als Warninstrument zur Abschätzung der aktuellen Sturzflutgefährdung (reale Ereignisse) als auch im Rahmen der Sensibilisierung (fiktive Szenarien) zur Abschätzung der regionalen Sturzflutanfälligkeit verwendet werden. Beide Optionen sind im Demonstrator visualisiert.

Um den SFI ausweisen zu können, muss eine Modellierungskette – von Niederschlagsdaten über die hydrologische Abflussbildung und die hydraulische Abflussakkumulation bis hin zur Identifizierung sturzflutgefährdeter Flächen (SFGF) und schlussendlich die Klassifizierung des SFI - durchgerechnet werden, so wie in untenstehender Abbildung visualisiert.

Die Kriterien zur Ausweisung von SFGF sind wie folgt. Alle Rasterpunkte, die eine maximale Überflutungstiefen von ≥30cm, eine maximale Fließgeschwindigkeit von ≥1.5m/s oder einen maximalen spezifischen Abfluss von ≥200l/m*s aufweisen, werden als potentiell sturzflutgefährdet eingeordnet. Die Klassifizierung des SFI erfolgt dann über den Anteil der SFGF Flächen in einem definerten Umkreis der jeder Zelle im Modellgebiet.

Mehr Informationen zum SFI finden Sie auf der AVOSS – Projekthomepage bzw. ausführlich in einem Leitfaden zur SFI-Entwicklung

A schematic representation of the PFI computation chain
Eine schematische Darstellung der Prozessieruingsschritte für den Starkregenindex (SRI)

Niederschlag & SFI

Die Ereignissummen der realen Starkregenereignisse basieren auf kalibrierten Niederschlagsradardaten, die in einer zeitlichen Auflösung von 5 Minuten vom assoziierten AVOSS Projektpartner im Bereich Forschung und Entwicklung, der Kachelmann GmbH bereitgestellt wurden. Die Daten entsprechen weitestgehend den Daten, die auch auf der Kachelmann GmbH Webseite visualisiert sind. Zur Einordnung der Stärke der Niederschlagsereignisse wurden die Niederschlagssummen des Ereignisses mittels des Starkregenindexes (SRI) klassifiziert. Basis für den SRI sind die vom Deutschen Wetterdienst veröffentlichten KOSTRA-Starkregenhöhen in der Version 2020 (KOSTRA_V2020). Das Vorgehen dabei entspricht dem hier beschriebenen Ansatz.

Die Niederschlagssummen der fiktiven Szenarien basieren auf dem räumlichen Median (für Baden-Württemberg) der auf KOSTRA_V2020 beruhenden Niederschlagswerte verschiedener SRIs und Dauerstufen, und sind daher räumlich konstant. Im Demonstrator sind bisher die SRI-Schwellen 3 (stark), 5 (stark - sehr stark), 7 (sehr stark), 9 (sehr stark – extrem) und 11 (extrem) für die Dauerstufen 30 min, 1 h, 2 h und 4 h abgebildet. Zur weiteren Modellierung werden die jeweiligen Gesamtsummen des Niederschlags in 5-Minuten Niederschlagssummen unterteilt. Der angenommene zeitliche Verlauf der Niederschläge entspricht einer linkssteilen Weibull-Verteilung.

Berechnung des oberflächlich abfließenden Wassers

Die Berechnung der Oberflächenabflussbildung erfolgt mit dem physikalisch basierten Niederschlags-Abfluss-Modell RoGeR , das auch im Rahmen des kommunalen Starkregenrisikomanagements in Baden-Württemberg (SRRM-BW) zum Einsatz kommt.

Als ereignisspezifische Eingangsdaten müssen für RoGeR neben den oben beschriebenen Niederschlagsdaten auch Informationen zur aktuellen Bodenvorfeuchte vorliegen. Für die realen Starkregenereignisse wurden dabei die zu Beginn des Ereignisses herrschenden Vorfeuchtebedingen (auf Basis einer landesweit für Baden-Württemberg vorliegenden, mit dem Wasserhaushaltsmodell RoGeR_WB_1D erstellten, langjährigen Wasserbilanzsimulation) herangezogen.

Für die fiktiven Szenarien wurden aus der oben genannten Wasserbilanzsimulation, über einen Perzentil-Ansatz drei Vorfeuchtebedingungen abgeleitet. Die Vorfeuchte-Option "trocken" entspricht dabei dem 10. Perzentil der Häufigkeitsverteilung der Werte der nutzbaren Feldkapazität (nFK) in den Sommermonaten; "mittel" entspricht dem 50. Perzentil nFK und "feucht" dem 90. Perzentil nFK.

Als Output von RoGeR erhält man pro Niederschlagsintervall (5 Minuten) den sog. Oberflächenabfluss (OA-Werte, hier 5 x 5 m räumliche Auflösung). Das ist der Teil des Niederschlags, der nicht in den Boden infiltrieren kann (im Starkregenfall meistens aufgrund von Infiltrationsüberschuss).

Akkumulation des Oberflächenabflusses

Um die Gefahr durch Überflutungen außerhalb von bestehenden Gerinnestrukturen abzubilden, ist die räumliche und zeitliche Konzentration des gebildeten Oberflächenabflusses unerlässlich. In der Regel werden dafür 2d-hydraulische Modelle verwendet, die allerdings den Nachteil haben, dass sie im Vergleich zu den anderen Modellierungskettenglieder relativ rechenzeitintensiv sind und somit lange Berechnungszeiten aufweisen. In AVOSS wurde daher zur Konzentration des Oberflächenabflusses ein, auf einer geomorphologischen Fließakkumulation beruhender Ansatz entwickelt, der es erlaubt Überflutungsbereiche und die zur SFGF Ausweisung notwendigen Kriterien mit geringem Rechenzeitbedarf ausgewiesen werden können.

Der in AVOSS entwickelte Ansatz AccRo (iterative accumulated runoff) wurde für die im Demonstrator dargestellten SFI-Berechnungen mit einer Rasterweite von 5 x 5 m angewendet. Als Inputdaten gehen neben den Oberflächenabfluss-Werten aus RoGeR, auch statische Daten zu Geländemorphologie (DGM) und Rauigkeit mit ein. Die Zuordnung der Rauigkeitswerte zur verschiedenen Landnutzungsklassen erfolgt dabei nach den Vorgaben des SRRM-BW . Der Anteil des Niederschlags, der auf Gebäude fällt, wird in der aktuellen Version von AccRo nicht berücksichtigt. Ebenso können keine Verdohlungen oder andere Durchlässe in AccRo berücksichtigt werden. Daher werden im Zuge eines Präprozessing verdohlte Gerinneabschnitte im DGM wieder durchlässig gemacht.

Zur Abgrenzung von fluvialen Hochwässern und zur Vermeidung unrealistischer Abflussmengen aufgrund Einheitsberegnung wird im Falle der fiktiven Szenarien die Kapazität der vorhandenen Gerinne ab einer Akkumulationsfläche von mehr als 10 km² als unendlich angenommen. Dies bedeutet, dass ab dieser Größe des beitragenden Einzugsgebietes keinerlei ausgehende Ausuferung stattfinden kann. Im Falle der realen Starkregenereignisse gibt es diese Begrenzung aufgrund der räumlichen Begrenzung realer Starkregenereignisse nicht.

Als Output von AccRo ergeben sich räumliche Daten der maximalen Überflutungstiefe, der maximalen Fließgeschwindigkeit sowie des maximalen spezifischen Abflusses. Aus den Ergebnissen von AccRo lassen sich somit direkt die Sturzflutgefahrenflächen ableiten und ein entsprechender SFI (s.o.) ausweisen. Zusätzlich können die Parameter auch für Schadensszenarien genutzt werden.

KNN-basierte quasi-Echtzeit Starkregengefahrenkarten

Aufgrund der teilweise sehr vereinfachten Annahmen und der eher geringen räumlichen Auflösung (hier 5 x 5 m) lässt sich AccRo nur bedingt zur Erstellung detaillierter, straßenzugs- bzw. gebäudespezifischen Überflutungskartierungen, wie sie in den Starkregengefahrenkarten (SRGKs) vorliegt, heranziehen. Daher wird hier im Normallfall auf detaillierte 2d-hydraulische Modellierung zurückgegriffen werden müssen.

Aufgrund des hohen Rechenzeitbedarfs 2d-hydraulsicher Modelle lässt sich dies aber nur unabhängig vom konkreten Ereignisfall und nur für eine begrenzte Anzahl von Szenarien durchführen. Im Zuge von AVOSS wurde für einzelne Testgebiete (siehe Emmendingen) der Einsatz von KI zur Generierung von SRGKs in quasi-Echtzeit erprobt. Dafür wurden mit 2d-hydraulichen Modellen für eine Vielzahl von unterschiedlichen Starkregenereignissen ein großer Datensatz von maximalen Überflutungstiefen und max. Fließgeschwindigkeiten erzeugt. Dieser wurde dann zusammen mit den in die 2d-Modellierung eingehenden OA-Werten dafür genutzt, mehrschichtige künstliche neuronale Netze zu trainieren, die dann wiederum in quasi-Echtzeit für beliebige OA-Inputs detaillierte SRGKs ausweisen kann. Mehr Informationen zu dem in AVOSS verwendeten KNN-Ansatz findet sich auf der AVOSS – Projekthomepage.

Quantitative Schadensmodellierung

Die Identifizierung von zu erwartenden Schadens-Hotspots kann die Entscheidungsfindung im Notfall erheblich unterstützen. Vor diesem Hintergrund wird in AVOSS für die fiktiven Szenarien eine quantitative Schadensabschätzung auf Bezugsebene der Ortslagen durchgeführt, anhand derer man die unterschiedliche Betroffenheit im potentiellen Ereignisfall abschätzen und somit ggf. Vorkehrungen zur Minimierung der Schäden treffen kann.

Im Beispiel von Emmendingen wird ein Bayes'sches Netz dazu genutzt, um potentielle Gebäudeschäden im privaten Wohnsektor in Folge von Überflutung zu quantifizieren. In einem solchen Ansatz fließen neben gebäudespezifischen Faktoren auch sozioökonomische Annahmen sowie der Grad der (wie gut eine Kommune auf Starkregen vorbereitet ist) mit ein. Hinsichtlich der Überflutungsparameter sind insb. die maximale Überflutungstiefe und die maximale Fließgeschwindigkeit von Bedeutung. Für die hier dargestellten, ortslagenspezifischen Schadensabschätzungen fließen diese Informationen aus AccRo in das Bayes'sche Netz ein. Mehr Informationen zu der in AVOSS durchgeführten Schadensmodellierung findet sich auf der AVOSS – Projekthomepage .

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